"Die Aarauer Dachhimmel, vielleicht einst vom Berner Bauernhaus übernommen, können in ihrer späteren Ausgestaltung, Bemalung und reichen Holzbildhauerarbeit der Stützbalken als typische Aarauer Dächer angesprochen werden. Äusserst vielgestaltig sind diese Dachvorbauten, auch gleicht selten ein Haus dem andern, und doch bilden all diese Bürgerbauten in ihrer Vielfalt eine geschlossene Einheit, die von einem staunenswerten Empfinden für den Städtebau unserer Altvordern zeugt."
Was hier in den 1950er Jahren von Lokalhistoriker Theodor Elsasser aus heutiger Sicht etwas gar patriotisch beschrieben wird, hat heute noch Bestand: Die Aarauer Dachhimmel oder Giebel sind etwas Spezielles – nicht umsonst wurde und wird speziell im touristischen Bereich davon gerne gesprochen. So titelt ein kleiner Faltprospekt des Verkehrs- und Verschönerungsvereins Aarau 1955 mit Aarau, Stadt der Giebel und Gärten und versucht die Touristen mit einer ähnlich glühenden Sprache anzulocken: "Durch das doppelte Stadttor tritt man in die spätmittelalterliche Altstadt. Ihre Gassen mit geschlossenen Zeilen behäbiger Bürgerhäuser, von bemalten Dachhimmeln in malerischem Linienspiel überragt, locken zu beschaulichem Schlendern."
Das beschauliche Schlendern durch die Gassen der Aarauer Altstadt macht seit der Verlegung des motorisierten Verkehrs und der Neugestaltung der Altstadtgassen von 2011 noch einmal mehr Freude. Die Altstadt von Aarau verfügt über einen beachtlichen Baubestand, der sich über verschiedene Jahrhunderte erstreckt, doch sind die schmückenden Details und auch die Dachhimmel selten aus der Bauzeit der Häuser. Tatsächlich stammt der grössere Teil der Bemalungen aus dem 20. Jahrhundert, doch passiert es immer wieder, dass bei Fassadenrestaurierungen ältere Dachhimmelbemalungen zum Vorschein kommen und in der Folge freigelegt, konserviert und restauriert werden. Auch in dieser Broschüre sind verschiedene Dachhimmel abgebildet, welche noch den Zustand vor der letzten Restaurierung zeigen. Diese zu finden überlasse ich den schlendernden Interessierten …
Die Dachhimmel von Aarau legen ein buntes und sprechendes Zeugnis ab von der steten Veränderung, welche unsere Dörfer, Städte und auch Altstädte durchmachen. Was nach einem Rundgang durch die Aarauer Altstadt gesagt werden kann – sie ist von Leben erfüllt und präsentiert sich von Jahr zu Jahr von noch besserer Seite und widerspricht so einem früheren Reiseführereintrag ganz klar: "[…] An lokalen Sehenswürdigkeiten bietet Aarau wenig. […]"[2] Würde der Autor dieses Reiseführers heute, 150 Jahre später, durch die Gassen von Aarau wandern, den Kopf in die Luft recken, wäre er sicherlich angetan von der vielfältigen Gestaltung der Fassaden und der Dachhimmel der Altstadthäuser. Und dies mag als Aufforderung für alle gelten!
Reto Nussbaumer, kantonaler Denkmalpfleger
[1] Elsasser, Theodor: Das Bild der Stadt. in: Laederer, Benjamin (ed.): Aarau: Geist und Antlitz der Stadt. Genf: Éditions Générales, 1959, S. 181-200.
[2] Berlepsch, Hermann Alexander von: Neuestes Reisehandbuch für die Schweiz. Hildburghausen: Verlag des bibliographischen Instituts, 41866, S. 310.